Einfach Mahler. Von Otto Brusatti, mit fünf Interventionen von Manfred Wagner
(Erschienen am 02.07.2010, in „Die Presse“, Spectrum)
Zeitgenosse der Zukunft. Erster Generalmusikdirektor der Erde. Neuerfinder von Klang und Raum. Was nicht alles wurde Gustav Mahler zugeschrieben. Zum 150. Geburtstag: eine Revision.
„Der Teufel tanzt es mit mir“ (Mahler im Particell zu seiner Zehnten Symphonie).
Und wieder ist es so weit, Doppelpack sogar. Diesmal Gustav Mahler. Am 7. Juli 2010 ist sein 150. Geburtstag, am 18. Mai 2011 sein 100. Todestag zu begehen. Es passiert im Vergleich zu den jüngsten Erinnerungsjahren mit Mahler nichts Spektakuläres, auch nicht während eines dergestalt kaum je da gewesenen Bienniums. Und das ist gut so.
Man vermisst angenehm die wieder einmal angeblich ultimative Großausstellung, in welcher vor allem müdes und nur scheinbar neues Design ausprobiert wird („Gustav Mahler in Wien“ im Österreichischen Theatermuseum ist eine feine, sich selbst beschränkende Ausnahme). Orchester, Festspiele und CD-Konzerne machen, leicht aufgebessert, business as usual. Mahler-Filmdokus werden nur über Spezialthemen verfertigt. Vernünftige Bücher sind noch zu erwarten. Radioserien, europaweit, setzen auf Information, Vergleiche und Zeitdarstellungen.
„Einfach ein genialer Mann“ (Peter Iljitsch Tschaikowsky über Mahler, 1892).
Man hat ihm viele Epitheta und Schmucknebensätze verliehen. Zumeist zu Recht. Zeitgenosse der Zukunftist am hübschesten; dannauch Erster Generalmusikdirektor der Erde, Opernreformator, letzter Großer in der fast 1000- jährigen Geschichte der europäischen Tonalität, Neuerfinder von Klang und Raum. Und doch,wir leben erst seit höchstens 50 Jahren in einer Mahler-Zeit. Von wenigen Produktionen abgesehen (die im heutigen Hineinhören, auch wenn von angeblichen Mahler-Spezialisten gemacht – Bruno Walter ausgenommen –, zumeist erbärmlich klingen), wird Mahler erst seit den 1960ern spannend vorgeführt und transportiert. Neben einer seit damals rasant wachsenden Biografik auf Quellenbasis (stellvertretend: Kurt Blaukopf, Constantin Floros und vor allem Henry-Louis de La Grange, er nicht in deutscher Sprache!) ist es doch Leonard Bernstein gewesen, der sich folgenreich neu und aufgeregt an Mahler herantraute (neben ihm sind Georg Solti, Bernard Haitink, Paul Kletzki oder Kyrill Kondraschin, dann vor allem Pierre Boulez und Riccardo Chailly mit anderen Starkapellmeistern und Pseudo-Mahler-Stars wichtig geworden). Bernstein dirigierte innovativer, als man das heute zugibt, in einer Zeit, als über Mahler noch Blödsinn wie „er war als Person interessanter denn als Komponist“ oder gar, unwidersprochen, hässlich Spätfaschistisches zu lesen war.
Das ist interpretatorisch interessant. Für eine Positionierung Mahlers 2010/2011 auch? Oder wurde er Lieferant für herrlichen Symphonie-Bombast und mitzubeschluchzende Lieder in höchstpersönlicher Interpretation?
„Heiaha, heijaha, / wir sind da – und / an die grüne Thür wir pochen. Du lieber goldner Sonnenschein / lass uns ein – lass uns ein“ (Mahler, 20-jährig, ein eigenes Liebesgedicht).
Die Mahler-Fakten sind vergleichsweise linear zu erzählen. Die Erfolgsstory. Vom Provinzbuben zum Übermaestro. Da wächst einer aus der vielstimmigen Monarchie in eben dieser auf und hantelt sich gewandt und ungemein zielausgerichtet in ebendieser nach oben. Mahler behauptete später etwas sentimental, im halben Elend geboren worden zu sein und seine ersten Jahre verbracht zu haben, dort in Kalischt und Iglau, also mitten in dem, was damals in Wien abfällig Böhmen hieß. Es gab Provinzbildung, dann schon die Metropole, immerhin als hochbegabter Schüler am wahrscheinlich strengsten und besten, aber auch konservativsten Konservatorium der Welt. Hugo Wolf, der später an ihm zerbrechen wird, war mit anderen Spätromantikern sein Mitschüler, Anton Bruckner gelegentlich ein onkelhafter Lehrer, Johannes Brahms ein Vorbild, später ein wenig sein kritischer Mentor; Richard Wagner blieb neben Beethoven der Abgott. Mahler wurde rasch Kapellmeister, Dirigent, Direktor – und erst währenddessen in einer seltsamen, langsamen Entwicklung auch zum Komponisten.
Seine Stationen lesen sich wie die aus einem Bilderbuch für eine Musikerkarriere mit allerhöchsten Absichten: Provinz ab 20, Etablierter ab 25 in Prag, Leipzig, Budapest, dann in Hamburg und europaweit Gastdirigent, mit 37 für zehn Jahre Chef in Wien, dann Amerika-Star (nie in Bayreuth dirigierend). Ein rasanter Aufstieg war das. Der immer öffentlicher werdende Mann trieb stets ein wenig Kult um sein Privates. Früh schon ließ er bei Fans und möglichen Biografen Brocken über Herkunft, frühkindliche Eindrücke und Seelenbefindlichkeiten zirkulieren. Es ging um die riesige Familie eines bald durchaus nicht armen, aber brutalen väterlichen Schnapshändlers sowie dessen leidender Frau, zu der Mahler einen Mutterkomplex nie ablegen konnte (aber er fühlte sich nach dem Tod der Eltern sofort als Familienoberhaupt im ganzen Clan), um Musikeindrücke, die das Kind zwischen Militär- und Nationalsignalen empfangen hatte, um prägendes Lesen, romantische, stark deutschtümelnde Schwärmereien.
„Ein heimatloser Jude in der ganzen Welt“ (Mahler über sich selbst).
Mahler komponierte neuneinhalb Symphonien, die er beständig Revisionen unterzog. Es sind ausladende programmatische Riesenwerke wie nie davor verfasst, welche mit menschlichen Stimmen und Klangexperimenten arbeiten, die der orthodoxen Tonalität verpflichtet bleiben. Parallel dazu schrieb er Lieder, manchmal als symphonisch angelegte Zyklen. Alles andere bleibt vernachlässigbar. Sein im Grunde schmales Werk ist eine ausmalende, hypertrophe, bilderreiche und bis ins Intimste gehende Bekenntnismusik, wie das so nur ganz wenige Komponisten sonst noch schrieben und zuließen (Beethoven manchmal, Berg oder Webern). Mahler schätzte und verteidigte Schönberg, demgegenüber er so etwas wie Vatergefühle hegte; dessen Musik wollte er nicht folgen – er mochte sie wahrscheinlich auch nicht. Mahler dirigierte außer Eigenem nur ein von ihm manchmal auch zurechtarrangiertes Klassiker-Wagner-Programm sowie die ihm genehme Moderne, also romantisierende Nationalisten oder Verismo. Strauss und Pfitzner (oder der wegen Alma gehasste Lehrer Zemlinsky) waren für ihn das Maximum an Avantgarde. Die rasant wachsende U-Musik-Szene oder die Operetten waren ihm egal. Mahler hat nie richtige Schüler gehabt.
Erste Intervention. Vorsicht, Brusatti! Die übliche Karriereleiter vom Kurkapellmeister zum Wiener Operndirektor zwang Mahler, nahezu jede Musik des gängigen Repertoires zu dirigieren, jede Mengen Operetten (wobei man wohl auch das Handwerk am besten lernt) und Possen, leichte und schwere Opern, Oratorien, sinfonische Musik und immer wieder Arrangements, kurzum das übliche Programm für einen oft zweiten Kapellmeister, der sich überall erst an die Spitze durchkämpfen musste. Weder seine Dirigentenkarriere noch seine kompositorische Arbeit wären ohne diese Lernstationen denkbar gewesen.
Und – jene Alma? Mahler, der Womanizer (während seiner Kapellmeisterstationen gab es Affären, wie sie auch heute gern in buntesten Journalen vorkommen, mit vielen seiner Stars unterhielt er Beziehungen), ist in seinem letzten knappen Lebensjahrzehnt ohne seine Verlobte und Frau nicht denkbar. Es gibt aber in den Mahler-Jahren 2010/2011 die gute, vielleicht oft nicht direkt abgesprochene Übereinkunft, diese auratische Frau im Hintergrund zu belassen. Es war die sich selbst bespiegelnde Alma Maria Schindler, das Super-Girlie der aufgegeilten Wiener Kunstgesellschaft nach 1900, die mit 22 den Musiksuperman bekam, die als Hausfrau litt, ihn betrog und damit zu seinem Tod mit nicht einmal 51 Jahren beitrug, eine, die sich später als Kunstdame des 20. Jahrhunderts hochstilisierte, die ihre Abtreibungen, ihre Beziehungen (Kokoschka sei stellvertretend genannt), ihre Ehen und weiteren Kinder, ihre antisemitische Einstellung und doch ihre Flucht mit Franz Werfel vor den NS-Schergen genüsslich beschrieb. Sie zählt, als von Mahler angeblich verhindertes Genie, heute zu den Ikonen der Frauenmusik. Es darf bezweifelt werden, ob sie je nur eine eigene Note zu schreiben imstande gewesen ist. Aber ist Gustav Mahler erst an ihr zum stilisierten Heiligen geworden? An der Wunde Alma?
Zweite Intervention.Aber, aber, Brusatti! Dass Alma komponieren konnte, muss man nicht bezweifeln. Klavierschule hieß nämlich in Österreich bis 1900 Kompositionslehre, und Alexander Zemlinsky war diesbezüglich ein hervorragender Lehrer, wie seine Schüler Schönberg, Korngold, Weigl, Specht belegen. Was die Beziehung Mahler/Alma betrifft, neige ich dazu, die Vereinbarung einer eher „offenen“ Ehe à la Mozart zu vermuten, die aber ernsthafte, gefährdende Verliebtheiten nicht dulden wollte.
Als ego-befindlicher Dirigent, als Orchester- und Opernchef, als europaweit, dann beinahe weltweit präsenter Mensch war Mahler Vorbild für die Pultstars und Impresarios bis heute. Doch – schauen wir uns seine Bilder an, die vielen Fotos. Zunächst zeigen sie einen weichen Mann, mit Bart, etwas naiv dreinschauend. Dann hält er sich aufrecht, ist aufgerichtet, ein scheuer Jungkomponist, aber ein stolzer Jungmanager. Sodann, er hat es geschafft, man sieht es, er ist der Direktor mit absoluter Befugnisgewalt, ein Konzernherr. Mahler wirkt angespannt, scharf, sportlich; er würde so in jedes Topmanager-Magazin passen. Langsam werden die Bilder gebückter. Da hastet einer durch die Gegend, als Familienvater (der seine Tochter verlor) und Naturfreak (der bald so herzkrank sein wird, dass er sich nicht mehr rasch bewegen kann); Mahler ist wie auf der Flucht; er wirkt auf Gemälden vor 1910 als heftiger, gelegentlich grantelnder, auch zornig-wissender Mensch. Ein gestresster und verzagter Zuchtmeister. Und endlich schaut er nur mehr ganz arm aus seinen Fotos heraus, vor seinem Schluss; einer, der sich aufgebäumt hat, der jetzt gezeichnet, aber erhoben und sarkastisch dasteht; ein Abgelaufener und eine Gnadenfigur. 1911 bleibt nur mehr der kranke Mensch auf den Fotos übrig. Auf dem Totenbett ist er verzerrt und verklärt.
„Es war, wie wenn man einen einzigen tiefen Schacht durch ein rätselhaftes Bauwerk graben würde“ (Sigmund Freud später über seine Begegnung und das therapeutische Gespräch mit Mahler, 1910).
Aber, Vita und Werk – die sind sowieso in Editionen und Studien nachlesbar, wie bei den Großen der Musikgeschichte üblich im Zeitalter der Massenverfügbarkeit von Daten. Tatsächlich? Mühsame Erinnerungsjahre wie dieses haben den Vorteil, dass man anders fragen darf, ausfransend. Man kann neu ausloten, an die Randbereiche einer Biografie, eines Werkes, an eine Psyche freier herantreten. Hinwendungen (mit etwas Beklommenheit) zu Mahler, dem Sprache-Freak: Die meisten von ihm vertonten, die gelegentlich im „Wunderhorn“-Stil auch selbst fabrizierten Texte für Lieder und Symphonien sind von einer ungeheuren Grausamkeit. Dutzende an Beispielen ließen sich anführen, ein scheußliches Panoptikum wäre das, trennte man die Sprache von der Mahler-Musik. Im „Klagenden Lied“ geht es um Kannibalismus, im „Lied von der Erde“ bis zum Komasaufen, die „Kindertotenlieder“ (von Mahler in einer angeblich glücklichsten Familienzeit komponiert) sprechen sowieso für sich, in den selbst gedichteten „Liedern eines fahrenden Gesellen“, Mahlers „Winterreise“-Travestie, ist fast nur Liebesverzicht angesagt (sie sind eine persönliche Erfahrungsaufarbeitung), und in den beiden „Wunderhorn“-Zyklen, die Basis für die Symphonien eins bis vier, als Gesänge aber kompositorisch bewusst einfach gesetzt sind, geht es überhaupt so brutal zu wie in keinem vergleichbaren Liederhort. Ein paar Beispiele? Im „Irdischen Leben“ bringt eine Mutter ihr Kind um, in „Urlicht“ wird ein Selbstmord beschrieben, in der „Fischpredigt des Hl. Antonius“ die Lächerlichkeit von Dogmatik. Im lieben Welt-Abhandenkommen der Rückert-Lieder klingt es fatalistisch-sarkastisch, dass man nämlich mit dieser Welt vor allem viel verdorben habe.
Und die Sachen aus dem deutschen Bildungsschatz? Die Klopstock-„Auferstehung“ der Zweiten (mit Mahler-Textzusätzen über Todesvisionen) ist selbsttherapeutisch, die Passagen aus Goethes „Faust II“ sind ein seltsames Kompendium aus einem in heutiger Sicht sowieso kruden Text.
Mahler, riesige Einzeltürme auskomponierend, war dabei ein Großmeister in der Wiederverwertung von Eigenem. Er, der erst Mitte seiner Zwanziger mit einem symphonischen Großprojekt begann (zuvor war Karrieremachen angesagt), fabrizierte jenes vor allem auf der Basis der eigenen Lieder. Man ist geneigt, das eine Selbstausbeutung der besonderen Art zu nennen. Wie sehr so etwas im zweiten Schaffensteil (ab der Fünften) als stetes Variieren fortgesetzt worden ist, daran misst sich die Mahler-Analyse.
Und doch, apropos Analyse. Es gibt kleine Bibliotheken davon. Trotzdem wird im Mahler-Doppeljahr vieles neu zu beschreiben sein; oder nicht, denn Mahlers Musik genügt Publikum und Interpreten auch so? Aber Mahler hat sein kompositorisches Werk nicht nur in vertonten Texten und in Ableitungen aus dieser Musik gestaltet, sondern auch aufgrund von Lektüre, diese unsprachlich symphonisch nachdichtend. Es war die Welt der genannten Dichter, des Nietzsche-Zarathustra, der Anleihen bei Poesie, die zum Humanismusfundus der Gebildeten zählte.
Aber Mahler komponierte noch dichter. Ja, es darf bei in der Mahler-Forschung viel zu wenig berücksichtigter, heute nicht mehr auch nur dem Titel nach geläufiger Literatur als ziemlich sicher vermutet werden, dass das meiste seines Symphonischen eigentlich ein In-Klänge-Setzen von Großepen, Hymnen oder Ähnlichem aus der damals beliebten, massenhaft herausgebrachten Goethe-Wagner-Nachfolge war. Herausgegriffen sei hier vor allem der Mahler-Zeitgenosse Siegfried Lipiner, der mit seinem Riesenepos „Der entfesselte Prometheus“ (der junge Mahler: „ein Weihetag“) Vorbild und Katalysator für Teile der Zweiten und Vierten sowie vielleicht für die ganze Dritte gewesen ist. Die Frage mag berechtigt sein: Hörte man in Kenntnis dieser ästhetischen Wechselwirkungen Mahlers Musik anders? Vielleicht. Interessanter wird die Musik auf jeden Fall? Vielleicht.
Dritte Intervention.Einverstanden, Brusatti! Die konstruierte Analogie zu Großformen wie Epen, Hymnen et cetera ließe die vorher beschriebenen „Grausamkeiten“ und Kruditäten eher marginal erscheinen, weil es um sie gar nicht so sehr ging, sondern sie nur die zeitgebundenen Ansätze für weite tonliche Ausschweifungen waren, deren Erzählform sich verabsolutiert hatte. Dann fallen auch Rückgriffe, Wiederholungen, Wiederverwertungen nicht so sehr ins Gewicht, sondern es dominieren die endlosen Linien, die Weit-Schweifigkeit, die Überlängen als angepeilte Fraktur rezitierter Musik.
Und so werden die Mahler-Jahre noch spannend? Auch wenn es – was verblüfft bei der kulturhistorischen Bedeutung dieses Menschen – keine einheitliche und kritische neue Werkausgabe gibt und weder die Mahler-Stadt Wien noch das Mahler-Land Österreich sich in diesem Biennium um die Aufhebung jener Schande bekümmern. Und dann wären die Mahler-Jahre, jenseits von Biografie, Wissenschaft und Neubewertung, auch Star-Anlass, sich über den/einen Antisemitismus wieder Gedanken zu machen, der selbst dem Musiker Nummer eins entgegenschlug und ihn letztlich aus Wien vertrieb. Er, in seinen Klang-, Theater- und Hypertrophie-Vorstellungen ein Prototyp für das sich langsam erst entwickelnde 20. Jahrhundert . . . was Gustav Mahler vor und um 1907 passierte, war Prototyp für Böses, das in Wien gern weich und durchdringend über seine wichtigsten Leute gegossen wurde und wird.
Vierte Intervention. Vorsicht, Brusatti! Halten Sie nicht für möglich, dass die Rezeptionsgeschichte die realen Tatsachen übertüncht? D’accord mit dem üblen Wiener Antisemitismus, nur nicht, dass Mahler zu Lebzeiten ein Opfer davon war (ausgenommen die Angriffe in der deutschen rassistischen Presse). Wie hätte es ihm sonst gelingen können, unbeeinsprucht die höchste Musikerposition der Monarchie zu erklimmen, wie sonst hätte er seinen Erfolg hier, allgemein bestätigt, eingefahren? Sein Weggang 1907, also nach zehn Jahren!, war, so erhellen meine Forschungen über Roller, der Mahlers Abschiedsbrief entwarf, bedingt durch mehrere Umstände: Mahlers Wunsch, nach Amerika zu gehen (worüber er schon vor seinem Weggang verhandelte), Schwierigkeiten mit dem Obersthofmeister Montenuovo wegen der eigenen ausufernden Urlaube und Rollerscher Balletteskapaden, sicher auch wegen einer gewissen Amtsmüdigkeit: „Ich bin für Wien nichts Neues mehr.“
Faszinierend aber dann . . . jene akzelerierende Epoche nach ihm . . . denn Mahler wäre im März 1938 erst 77 Jahre alt gewesen . . . ein betagter, aber bestimmender Mann, den man hier dennoch umgebracht hätte.
„Mozartl, Mozartl“ (Mahlers angeblich letzte Worte auf dem Sterbebett).
Fünfte Intervention. Jedenfalls: Respekt, Brusatti! Ich halte für wichtig, von jeder Hagiografie und Klischeevorstellung Abschied zu nehmen. Auch wenn es manchmal ungewöhnlich ist und radikal gedacht scheint. Risken zur Erfahrung der historischen Wahrscheinlichkeit führen weiter als voreingenommene Nachbeterei. Dies gilt auch für den vereinnahmten Gustav Mahler.