Schulpolitik: jetzt handeln
(Erschienen am 10. 03. 2004 in „Die Presse“)
Als einer, der seit den Zeiten Fred Sinowatz’ alle Unterrichtsminister der Zweiten Republik zu überzeugen suchte, dass Bildungspolitik vor allem Schul- und sogar Vorschulpolitik hieße und eines der dringendsten Probleme der neuen Informationsgesellschaft wäre, kann man sich über eine breitere Diskussion nur freuen. Den Anfang setzte wohl die Regierung mit der Zukunftskommission, wichtige Signale kamen aber auch jetzt von der Opposition. Sowohl Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl als auch SPÖ-Chef Gusenbauer bekannten sich zu einer „europäischen, bilingualen Leistungsschule, ganztägig, gesamtschulisch bis 14 Jahre und mit verbaler Beurteilung“ zumindest im Volksschulkontext.
Was daran ideologisch fixiert sein soll, weiß ich nicht. Nahezu alle europäischen Schulmodelle außerhalb Deutschlands sind nach diesem Modell konstruiert und die Pisa-Erfolgreichen mehr als alle anderen. So recht Bundeskanzler Schüssel mit der Aussage hat, dass die Schule als Prüfstand für Leistung herhalten müsse, was gleichgeschaltet auch der Oppositionsführer bestätigte, so schwierig wird zu erklären sein, warum dies ausschließlich mit Ziffernnoten handzuhaben sei. Wo denn außerhalb der Politikerrankings werden Noten als Leistungsbeurteilung im Berufsleben bevorzugt?
Zugegeben, Lehrer haben wenig Zeit, weil sie neun Monate arbeiten müssen und Schüler möglicherweise deren subtile Formulierungen nicht verstehen. Aber die Eltern, in der Regel berufserprobt und leistungsevaluiert, könnten doch als Experten von Wortbeurteilungen bezeichnet werden, und die wortgewaltigen Medien bieten sich als Dolmetscher für gewiefte Aussagen geradezu an. Für die Volksschule wäre tatsächlich die verbale Leistungsbeurteilung pädagogisch und wohl auch in der Sache zielführender. Die Gesamtschule, in ganz Europa, selbst in konservativsten und katholischen Ländern Realität – nebenbei ohnehin durch idente Unterstufenlehrpläne in Gymnasien und Hauptschulen hinterrücks eingeführt –, verhinderte jedenfalls jene unübersehbare Abbildung der Herkunftsunterschiede, die sich mit der elterlichen Lebenswegentscheidung für 9Jährige abzeichnet.
Die OSZE bestätigt seit Jahren, dass damit ein Malus für Land- und Ausländerkinder aus den unteren Schichten gesetzt würde. Außerdem wissen wir aus einer Reihe von Untersuchungen, dass der Richtigkeitswert von Aufnahmeprüfungen den Koeffizenten von 0,49 einnimmt, wobei Münzwerfen, also Zufall, 0,50 beansprucht. Jetzt, wo die Diskussion in Bewegung kommt, und sich viele vernünftige gemeinsame Standpunkte entwickeln könnten, besteht die Chance, schnell und zügig jenen Vorsprung aufzuholen, den viele Länder Europas und auch der künftigen Beitrittsländer sich bereits erworben haben. Nationale Interessen wie die in der neuen Informationsgesellschaft unabdingbare Bildungsqualität sollten aus Wahlkämpfen herausgehalten werden. ES wäre an der Zeit ohne Gesichtsverlust gemeinsam zu handeln.